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Frust beim Online Dating – wer lesen kann ist klar im Vorteil!

Als Single ins neue Jahr gestartet, wage ich mich langsam wieder an Dating-Apps ran. Ich stelle bereits nach drei Wochen fest, dass sich nach etwa zweieinhalb Jahren Abwesenheit nichts verändert hat in dieser Welt. Entsprechend groß ist auch der Frust beim Online-Dating. Man macht sich ja schließlich die Mühe, mit einem halbwegs freundlichen und erkennbaren Gesichtsfoto einen ersten Eindruck zu vermitteln. Vielleicht noch ein, zwei weitere Fotos, kurzer Profiltext, was die Erwartungen sind und fertig. In der schwulen Online-Dating-Welt werden noch ein paar andere Parameter abgefragt, auf die ich auch entsprechend Auskunft gebe. Man hat meiner Meinung nach genug Information, um ein Gespräch zu beginnen. Ein „Hallo, wie geht’s dir?“ reicht mir tatsächlich auch oft. Im realen Leben sind die ersten Sätze ja tendenziell auch eher banale Einstiegsfloskeln und das ist wunderbar in Ordnung.

Woher also der Frust beim Online Dating?

Als schwulem Mann stehen mir einige Apps zur Verfügung, mit denen ich mich umschauen kann für ein Sexdate oder einen Chat usw. Sind wir uns aber mal ehrlich: ersteres macht gut 90 % aller Intentionen beim Online-Dating unter Männern aus. In diesem Sinne erreichen mich entsprechend viele Nachrichten mit meist folgendem Verlauf:

Er: Hi, siehst geil aus!
Ich (öffne das mitgeschickte Dickpic): Hi, danke für deine Nachricht.
Er: Was suchst du hier?
Ich (langsam genervt): Erstmal einen Chat und dann schauen, was daraus wird. Und du?
(Anm. d. Red.: die Info steht auch in meinem Profiltext von genau zwei Zeilen!)
Er: Sex jetzt? Hast du Bock? Kannst gerne vorbeikommen.
Ich: Danke, daran bin ich nicht interessiert. Zudem haben wir momentan eine Pandemie. Von daher kommen solche Treffen für mich gar nicht in Frage.
Er: Schade, aber du bist echt geil. Überleg es dir nochmal!
Ich: Nachricht gelesen, gebe keine Antwort mehr
Er (fünf Minuten später): Du arrogantes Arschloch!
Er: Fügt mich seiner Blockiert-Liste hinzu

Weitere Abwandlungen gehen dann über zu „ich bin auch an einem Chat interessiert“ und hüllen sich dann in Stillschweigen. Alternativ kommen gehaltvolle und wortintensive Rückmeldungen zurück wie „ok“ und „mhm“.

Weitere Profiltypen

Mein persönlicher Favorit sind Profile, bei denen das eine Foto mit Sonnenbrille aus 500 m Entfernung gemacht wurde. Darüber wurden diverse Snapchat-Filter und Instagram-Glitzerwölkchen gelegt. Gerne steht dann im Bilduntertitel ein pseudo-intellektueller Motivationsspruch, warum man jetzt bereit sei für die neue Liebe. Bei Nachricht #3 kommt aber dann doch das Dickpic und wir befinden uns dann in der gleichen Konversation wie zuvor beschrieben. Ach übrigens, ungefragte Dickpics sind nach wie vor unerwünscht.

Besonders herausragend sind auch die Profile, denen Diskretion sehr, sehr wichtig ist. Keine Fotos, kaum Text, „Treffen nur bei dir oder Outdoor“ steht dann in der Headline. Diese User erdreisten sich dann 25 Fotos (davon bitte die Hälfte Body- und Dickpics) und komplett ausgefüllten Vorlieben-Katalog anzufordern. Als Antwort erhält man mal ein Teilbodypic von einer semi-trainierten Brust mit drei Haaren. Der Inhalt der Nachricht beschreibt dann nur noch knapp „mehr bekommst du nur live zu sehen“. In diesem Zusammenhang kommt der finale Hinweis: „Ich bin nicht schwul, aber ich hab Druck. Meine Frau lässt mich nicht oft genug ran.“ Meine Begeisterung hält sich entsprechend in Grenzen. Besser gesagt, es macht sich schnell Frust beim Online-Dating bei mir breit. Liest sich denn keiner mehr das Profil durch? Werden die Fotos nur noch als Wichsvorlage genutzt? Warum macht man sich dann überhaupt noch die Mühe, Kontakt aufzunehmen?

Was mache ich jetzt?

Um mit dem Frust beim Online-Dating richtig umzugehen, braucht es meiner Meinung nach eine gehörige Portion Humor. Ich lache einfach über den Großteil der Chatverläufe. Wildfremde Menschen be- und verurteilen mich als Person, werfen mir Nachrichten à la „Du arrogantes Arschloch! So bekommst du nie einen ab.“ oder „Hässliche Schwuchtel! Über dich will doch eh keiner drüberrutschen!“ an den Kopf. Die Diskretionsprofile sind meist nach vier Wochen wieder gelöscht. Die Sexdate-Sucher nehmen mich von ihrer Blockiert-Liste spätestens nach einem halben Jahr wieder runter und starten einen erneuten Versuch. So beginnt der Kreislauf von vorne. Ich antworte in solchen Fällen meist ausschließlich mit dem schönen Spruch: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!

Es gibt jedoch die wenigen Highlights, mit denen man nett chattet, ohne Hintergedanken und ohne Ziel. Ist das denn heutzutage so eigenartig? Scheinbar ja! In allen andere Fällen setzt bei mir wieder der Humor ein. Man darf schließlich nie vergessen, dass man hier mit Menschen in Kontakt tritt, die einen in den seltensten Fällen kennen. Dementsprechend lasse ich mich von deren Urteil überhaupt nicht berühren. Mit der Sammlung an Dickpics kann ich zudem bald eine Galerie ausstatten und Eintritt verlangen. Der seltene Fall von Freundschaft, der sich aus solchen Chats entwickelt, ist dafür ein besonderes Schmuckstück, das ich sehr schätze. Bis zu diesem Punkt nutze ich die Untiefen der schwulen Online-Dating-Welt weiterhin, um mich zu verlustieren. Der einsetzende Frust wird einfach beiseite geschoben. Stattdessen wird herzhaft gelacht und weitergesucht nach der großen Liebe, einer Freundschaft oder dem ungefragten Dickpic.


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Ich, Joachim, bin ein Repräsentant der LGBTQ+ Community. Ich falle unter den Buchstaben G. Also, kurz gesagt: ich bin schwul! Damit kann ich aus einem ganz speziellen Blickwinkel über das Zusammenleben von Frauen und Männern berichten. Oder besser gesagt, warum es oftmals nicht so klappt.Neben dieser Sichtweise berichte ich auch über das Dating-Leben aus meiner Welt.