Es ist wieder so weit. Mein schlimmster Albtraum steht vor der Tür: das Fest der Familie, der Heilige Abend. Schwuler Single und Weihnachten passen in meinen Augen eher weniger zusammen. Alle bereiten sich auf gemeinsame Stunden unter dem festlich geschmückten Baum vor. Meist kann man sich die langweiligen Gesprächsthemen oder auch problematische Aussagen der Verwandtschaft nicht mal mehr schön trinken. Wenn man dann nicht auch noch Rede und Antwort stehen darf, wann man denn jetzt endlich jemanden mit nach Hause bringt. Scheinbar ist es unerträglich für die Familie zu wissen, dass man zum Fest der Liebe sein Leben als Single fristen darf.
Während man also in geselliger Zwangsrunde die Stunden zählt, trällert Mariah Carey durchs Radio, um ihre einzige Weihnachtsliebe zu becircen. Das Ganze ist dicht gefolgt von Wham!, die seit über 30 Jahren ihren Herzschmerz zum heiligsten aller Feste kundtun. Schwuler geht es ja kaum, aber dennoch grauenvoll für mich. Zwischendrin darf dann noch ein Grundschulchor auftreten, um die neueste Variante „Es ist ein Ros’ entsprungen“ vorzutragen. Dabei wird gerne auf die unterschiedlichen spendenbedürftigen, wohltätigen Einrichtungen hingewiesen.
In Vorbereitung auf dieses Fest rennen alle Menschen wie vom wilden Affen gebissen durch die Straßen auf der Suche nach den passenden Geschenken. Schließlich müssen Familie, Freunde, Arbeitskollegen und die Schwippschwägerin des Hundefriseurs mit unnötigem Firlefanz beglückt werden. Die Mitarbeiter des Einzelhandels wollen sich am liebsten mit dem Lametta erhängen, das sie so zahlreich verkaufen dürfen. Denn eines ist sicher: es gibt kaum eine grauenhaftere Foltermethode, als sich den gleichen Song 30 Mal am Tag anzuhören, während der Otto Normalbürger zum Wutbürger mutiert. So ziemlich jeder Verkäufer wird sich anblaffen lassen dürfen:
„Warum ist denn jetzt die Konsole für den Junior nicht auf Lager?“
„Haben Sie den Nagellack denn auch in Koralle anstatt in Orange? Das passt sonst nicht zu meinem Hauttyp.“
„Haben Sie kein schöneres Geschenkpapier zum Verpacken?“
„Unerhört! Ich stehe hier schon seit fünf Minuten und warte!“
Weihnachten per Paketlieferant
Dieses Jahr geht es dennoch etwas anders zu. Amazon macht das Umsatzjahr seiner bisherigen Firmengeschichte. Der Aktienkurs lässt es zumindest vermuten. Die Logistik- und Verteilerzentren der Botendienste und Paketlieferanten platzen aus allen Nähten. Die Mitarbeiter gehen unter, vor lauter Arbeit. Die Postämter sind den Schlangen nach der angesagteste Nachtclub mit dem härtesten Türsteher. Statt dem Verkäufer bekommt es halt jetzt die Postbeamtin am Schalter ab. Da sind die Parolen des „gegenseitig aufeinander schauen“ und „nur zusammen sind wir stark“ längst vergessen. Weil als Wutbürger muss, man ja jetzt darauf verzichten an Weihnachten abzukassieren, was alles auf den Wunschzettel passt.
Und man soll jetzt am besten Weihnachten auch mehr zur Familie, dass vielen eigentlich insgeheim jedes Jahr sowieso gegen den Strich geht – aber in diesem Jahr geht es schließlich ums Prinzip. Und wie kann man die Adventszeit nur genießen, ohne das alljährliche Glühwein-Saufgelage mit den geschätzten und verhassten Arbeitskollegen am Weihnachtsmarkt. Manch einer nennt es nicht umsonst das Wacken der Büroangestellten.
Neue Traditionen eines Weihnachtsmuffels
Abgesehen vom gemeinsamen Glühwein trinken, ist der Großteil dieser Aktivitäten befremdlich für mich. Respektive bevorzuge ich Orangenpunsch – als schwuler Single an Weihnachten muss man auch da etwas aus der Rolle fallen. Ich fahre dieses Jahr wieder nicht zur Familie. Ich werde auch dieses Jahr wieder niemandem etwas schenken und möchte auch nichts haben. Weder unter Freunden noch von eingangs erwähnter Schwippschwägerin des Hundefriseurs. Bürowichteln fällt Pandemie-bedingt aus. So eingelullt in meinem Weihnachtsmuffel-Dasein muss ich aber dennoch zugeben, dass irgendwas fehlt. Vielleicht ist es die fehlende Routine meiner Platte auf Dauerwiedergabe, mit der ich allen bekannt gebe, dass ich Weihnachten ätzend finde. Daher gehe ich dieses Jahr ins Studio und nehme eine neue EP auf. Sie wird heißen „Möglichkeit der neuen Traditionen“.
Die Trackliste wird aus so tollen Titeln bestehen wie:
- Trau dich an das Rezept heran, das dir immer zu kompliziert erschien.
- Dekoriere die Wohnung in deinen Lieblingsfarben.
- Beschenke dich selber mit deinem größten Wunsch.
- Stream eine Opernaufführung, die du schon immer mal sehen, aber dafür kein Geld ausgeben wolltest.
Geschenke, Geschenke, Geschenke!
Für alle, die jetzt nicht warten können bis diese Platte erscheint, habe ich noch einen besonders tollen Geschenktipp. Es ist sogar ein Schmuckstück. Damit kann man ja bekanntermaßen immer glänzen unter dem reich geschmückten Weihnachtsbaum:
die Blogmichdoch.de F*** Off Kette
Mit diesem Geschenk liegt man definitiv richtig, denn die Kette lässt sich zu vielen Anlässen tragen. Man kann seinem Hintermann an der Supermarkt-Kasse mit dieser Kette ein eindeutiges Zeichen geben, wenn der Mindestabstand doch unterschritten wurde. Oder zeigt den Verwandten bereits an der Tür, wie unerwünscht sie sind. Oder sorgt für klare Fronten beim Trennungsgespräch, nachdem man das Schmuckstück ausgepackt hat. Es gibt entsprechend viele Studien, die nachweisen, dass die Zahl der Singles nach Weihnachten exorbitant ansteigt. Oder man zeigt seinem schwulen besten Freund, wie lieb man ihn hat.
In diesem Sinne genießt eure Weihnachtstraditionen; egal ob es alte oder neue sind. Esst so viele Kekse wie ihr nur könnt und vielleicht erhebt der ein oder andere von euch ein Gläschen und denkt an die Liebsten. Denn so sehr ich auch ein Weihnachtsmuffel bin, ist das eine schöne Art an andere Menschen zu denken. Was gibt es als schwuler Single an Weihnachten besseres, als Kekse zu essen und ein köstliches Glas Wein zu trinken? In meinem Fall gibt es natürlich Orangenpunsch. Schließlich bleibt man(n) seiner Rolle treu – insbesondere, wenn man bereits aus selbiger gefallen ist.
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